Koran, Sure 96, Vers 05

Koranübersetzung:
, lehrt den Menschen, was er nicht wusste.

Erläuterung:
96:5 – Allāh (t) lehrt den Menschen, was er nicht wusste, indem Er ihm z.B. die Technik aus der Natur nahebringt: Wer sich vor dem Anblick seines Nachbarn mit geflochtenen Holzwänden entlang der Grundstücksgrenze schützt, der hört von dort im Frühjahr mitunter lautes Schaben und Knabbern. Pirscht er sich näher heran, kann er Wespen bei der Arbeit am Sichtschutz beobachten. Diese nicht immer wohlgelittenen Insekten beißen sich förmlich im Holz fest, um aus den abgelösten Fasern zusammen mit etwas Speichel ihre Nester zu bauen. Da das Material der Wespen-Häuser durchaus Ähnlichkeit mit Papier hat, kam dem französischen Naturforscher und Physiker Rene Antoine Ferchault de Reaumur zu Beginn des 18. Jahrhunderts der Gedanke, Papier nicht aus Hadern von Hanf, Leinen oder Baumwolle, sondern aus Holz herzustellen. Er hat die Idee niedergeschrieben, aber nie versucht, diese Technik mit ihrem Verzicht auf die immer knapper und teurer werdenden Lumpen selbst auszuprobieren. Erst als der Sachse Friedrich Gottlob Keller 1840 die Holzschleifmaschine erfand, waren die Voraussetzungen für eine industrielle Papierherstellung gegeben. Auch ihn soll das von den Wespen gelieferte Vorbild der Natur inspiriert haben. Rund ein Jahrhundert war also vergangen, bis die Beobachtung der Wespen in eine anwendbare Technik umgesetzt wurde. Das Beispiel macht deutlich, dass es Ewigkeiten dauern kann, bis eine “Erfindung der Natur” verwertet wird. Die aufs Verhalten der Wespe zurückgehenden Ursprünge der modernen Papierherstellung zeigen aber auch, dass es wenig Sinn hat, die Natur blind zu kopieren. Das führt nach den Worten des Saarbrücker Zoologie-Professors Werner Nachtigall in die Sackgasse. Man könne aber von der Natur eine Fülle von Anregungen übernehmen, die man auf ihre Übertragbarkeit prüfen müsse. Die Vorbilder aus der lebendigen Welt könnten Impulse für technisches Gestalten liefern. Wichtig sei jedoch, dass die Bemühungen um Adaption streng den Gesichtspunkten der Ingenieurwissenschaften folgten. Was Ingenieure, aber auch etwa Architekten und Mathematiker, aus dem Übertragen von Problemlösungen der Natur in den Bereich der Technik lernen können, firmiert heute als Bionik. Denn nicht nur Wespen bauen Nester; wer zum Beispiel ein Spinnennetz betrachtet, bekommt Anregungen für komplexe Tragwerkkonstruktionen. Einer der ersten Bioniker war Leonardo da Vinci Die Wurzeln der modernen Bionik zogen vielmehr erst während des Zweiten Weltkriegs so richtig Saft. Allgemein wird heute akzeptiert, dass für den damals von der deutschen Wehrmacht entwickelten ersten Infrarot-Detektor die Anregung eines Zoologen entscheidend war. Er hatte das Ortungssystem der Klapperschlangen genau untersucht und festgestellt, dass diese Tiere Temperaturunterschiede von einem tausendstel Grad erkennen und so zielgenau ihre Beute orten können. Die Thermografie, mit der man unter anderem sogenannte Kältebrücken an Gebäuden orten kann, ist daher eine der ersten Techniken, die man als bionische Entwicklung bezeichnen kann. Ein anderes, immer wieder mit der Entstehung der Bionik verknüpftes Beispiel, ist das von Sir James Gray 1936 aufgezeichnete Phänomen, dass ein schwimmender Delphin scheinbar mehr Kraft entwickelt, als seine Muskelpakete eigentlich leisten können, wenn man eine turbulente Grenzschicht zwischen der Haut des Meeressäugers und dem Wasser voraussetzt. Beobachtungen der amerikanischen Marine deckten das Geheimnis auf: Die Haut der Delphine beginnt leicht zu “wabbeln”, wenn die Tiere sehr schnell schwimmen. Eine weiche Fettschicht zwischen Haut und Muskelgewebe kann widerstandfordernde Druckschwankungen ausgleichen und eine laminare Strömung entlang des Delphinkörpers erzeugen. … Nach genauem Studium der Körperformen von Forellen, Thunfischen, Delphinen und Blauwalen hatte bereits in den sechziger Jahren der damalige Ordinarius für luftfahrzeugbau an der Technischen Universität Berlin, Heinrich Hertel, einen spindelförmigen Laminarrumpf für Flugzeuge vorgeschlagen. … Bauingenieure profitierten schon länger von den Vorbildern der Natur. So ist die Struktur von Pflanzen und tierischen Skeletten durch hohe Festigkeit bei kleinstmöglichem Gewicht und geringen Materialaufwand gekennzeichnet. Wer sich heute einem der schon von weitem zu sehenden Fernsehtürme nähert, dem drängt sich fast zwangsläufig die Parallele zu einem Weizenhalm auf. Auf beiden Gebilden sitzen ganz oben vergleichsweise schwere Lasten: hier die Ähre, dort die Kanzel. Beide Systeme verwenden ähnliche Mittel zur Aussteifung. Beim Bau der ersten aus Spritzbeton gefertigten Kuppel – 1923 für das Planetarium von Zeiss in Jena – stand dagegen das Hühnerei Pate. Von diesem charakteristischen Beispiel für eine natürliche Struktur hatte man mit Extrapolation auf die notwendige Dicke der Betonschale geschlossen. Um andere, von der klassischen Eiform abweichende Formen zu erhalten, bedienen sich Tragwerksplaner gern sogenannter Seifenhautmodelle: Zieht man Drahtgerüste aus einer Pfütze von Seifenlauge heraus, entstehen Gebilde mit kleinstmöglichen Oberflächen. Bei der Dachkonstruktion des Münchner Olympiastadions hatte man sich dieser Methode bedient. Sehr interessante technische Anwendungen hat auch das Studium der Wirbelstürme hervorgebracht, die in dem neuesten Hollywood-Film “Twister” ihre verheerenden Kräfte zeigen. So hat man festgestellt, dass beim Aufplatzen eines Tornados Zonen mit einer Rückströmung entstehen. An diesen Stellen rotieren Gase oder Flüssigkeiten kaum noch, und diese Eigenschaft nutzt etwa ABB bei der Entwicklung der Brenner von Gasturbinen. Der Wirbel sorgt zunächst für eine gute Mischung von Brennstoff und Luft. Das Aufplatzen setzt man ein, um durch das Ruckströmen von heißen Gasen eine Zündung des Brennstoff-Luft-Gemischs und gleichzeitig eine optimale Flammenstabilitat zu erreichen. Seit man den Tornado-Effekt bei ABB konsequent nutzt, konnten die Stickoxyd-Emissionen um etwa 25 Prozent vermindert werden. Doch auch in gewöhnlichen Heizungskellern wirbeln heute bereits Tornados: So bedient sich der Kesselbauer Viessmann bei seinem Rotrix-Ölbrenner des Prinzips des aufplatzenden Wirbels mit dem Ergebnis, dass die Schadstoffwerte deutlich unter denen herkömmlicher Geräte liegen. Vielversprechend ist der von dem Bonner Botanik-Professor Wilhelm Barthlott entdeckte Lotus-Effekt. Auf diesen Selbstreinigungsmechanismus von nicht vollkommen glatten Oberflächen war er gestoßen, als er sich damit beschäftigte, wie es Pflanzen immer wieder schaffen, bereits kurz nach einem Sandsturm sauber strahlende Blatter zu präsentieren. Die Lösung fand Barthlott unter dem Elektronenmikroskop: Blätter scheiden kleinste wasserabweisende Teilchen aus, die eine “rauhe” Oberfläche entstehen lassen, so dass Schmutzpartikel keine Chance haben, sich festzuklammern. Mittlerweile hat der Botaniker dieses Prinzip nachgeahmt und einen Kunststofflack zum Patent angemeldet. (FAZ 163/96) (Was die Belehrung des Menschen angeht, vgl. 2:31 und die Anmerkung dazu).

Arabischer Originaltext:
عَلَّمَ ٱلۡإِنسَٰنَ مَا لَمۡ يَعۡلَمۡ


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