Der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, nahm einen einmaligen Platz in den Herzen der Menschen ein. Er bedeutete ihnen alles. Aus sich bekämpfenden, unwissenden Heiden hatte er ein friedvolles, gottesfürchtiges Volk gemacht. Sie waren “tot”, wie es im Quran (2:28) heißt, und der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, hatte sie “zum Leben erweckt. ” (8:24)
So sahen sie mit Recht in diesem Sinne auf ihn als den Spender des Lebens. Das Leben ohne ihn erschien ihnen leer. Die Nachricht vom Tode des Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, war ein niederschmetternder Schock für jeden. Wie konnte das sein? Alle wussten, dass er einige Tage krank gewesen war. Aber sein Tod war unvorstellbar. Das durfte einfach nicht wahr sein! Eine riesige Menge versammelte sich in der Moschee. Niemand wusste, was man tun sollte. Es herrschte äußerste Verwirrung.
Umar (r) war so übermannt von seinem Schmerz, dass er sein Schwert zog und erklärte: Wenn jemand sagt, der Gesandte Allahs sei tot, werde ich ihm den Kopf abschlagen! In diesem Augenblick betrat Abu Bakr (r) die Moschee. Am frühen Morgen hatte er sich einige Meilen von Al-Madina entfernt, weil es dem Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, besser gegangen war. Aber als er zurückkam, hörte er die traurige Nachricht.
Er stellte sich in einer Ecke des Hofes auf und rief die Menschen zu sich. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Da begann er seine berühmte Ansprache: O ihr Menschen! Falls einer von euch Muhammad verehrt hat, so soll er wissen, dass Muhammad tot ist; aber wer Allah angebetet hat, der soll wissen, dass Allah lebt und unsterblich ist.
Lasst uns alle die Worte des Quran ins Gedächtnis zurückrufen, die heißen: Und Muhammad ist nur ein Gesandter; schon vor ihm gingen die Gesandten dahin. Und ob er stirbt oder getötet wird, werdet ihr auf euren Fersen umkehren? Und wer auf seinen Fersen umkehrt – nimmer schadet er Allah etwas; aber Allah wird wahrlich die Dankbaren belohnen. (Sura 3:144).
Diese Worte Abu Bakrs wirkten Wunder. Im Nu war die Verwirrung verschwunden. Die Worte des Quran fegten alle Zweifel aus den Gedanken der Menschen hinweg. Sie waren bereit, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Die erste Aufgabe war die Wahl eines neuen Führers. Der Staat musste ein Oberhaupt haben, sonst konnte es nicht weitergehen. Die Sache war zu dringend, um aufgeschoben zu werden. Ein Aufschub hätte Unordnung bedeutet und alles zunichte gemacht, was der Gesandte Allahs geschaffen hatte.
Allahs Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, war gestorben, aber der Islam und sein Staat mussten weiterleben. Die beiden großen Gruppen der Muslime waren die Al-Muhadschirun und die Al-Ansar. Die Al-Ansar sammelten sich in Thaqifat Bani Saida, ihrem Treffpunkt nahe beim Hause des Sad Ibn Ubada. Das Gespräch drehte sich natürlich um die Wahl des Kalifen. Sad, der Führer der Al-Ansar, stand auf und sagte, dass der Kalif aus ihren Reihen stammen müsse. Viele Stimmen pflichteten ihm bei. Ein Mann jedoch stand auf und fragte: Aber was ist mit den Al-Muhadschirun? Sie haben vielleicht einen größeren Anspruch. Dann sollen es eben zwei Kalifen sein, schlug einer vor, einer von den Al-Ansar und einer von den Al- Muhadschirun.
Jemand erzählte Abu Bakr (r), was bei dieser Zusammenkunft gesprochen worden war. Er erkannte die Notwendigkeit, schnell zu handeln, um eine neue Verwirrung zu verhindern. Daher ging er mit einer Gruppe von Muslimen nach Thaqifat Bani Saida. Er wandte sich mit folgenden Worten an die Versammelten: Beide, Al-Muhadschirun und Al-Ansar, haben große Verdienste um den Islam erworben. Aber die Al-Muhadschirun waren als erste zum Islam gekommen. Sie waren immer sehr eng mit dem Gesandten Allahs verbunden. Daher, Leute der Al-Ansar, Lasst den Kalifen aus ihrer Reihe sein! Darauf erwiderte ein Mann aus dem Stamm Al-Hazradsch: Wenn du keinen Kalifen aus unserer Mitte willst, dann Lass es doch zwei Kalifen geben, einen Ansaryy, und einen Muhadschir. So geht es nicht, sagte Abu Ubaida Ibn Al-Dscharrah, Al-Ansar, ihr seid diejenigen, die den Islam stark gemacht haben. Jetzt tut nichts, was eure Arbeit zunichtemachen könnte!
Als er das hörte, stand ein anderer Mann aus dem Stamm Al-Hazradsch auf und sagte: O Al-Ansar! Was wir auch für den Islam getan haben, geschah zu Ehren Allahs und Seines Gesandten. Wir taten es nicht, um damit irgendjemand zu verpflichten. Es sollte kein Vorwand sein, um ein Amt zu erlangen. Hört, der Prophet gehörte zum Stamm der Qurais. Die Qurais haben ein größeres Recht, seinen Platz einzunehmen. Bei Allah, ich halte es nicht für richtig, mit ihnen darüber zu streiten. Fürchtet Allah und widersprecht ihnen nicht! Diese Rede eines Mannes aus ihrer Mitte brachte die Al-Ansar zum Schweigen.
Sie stimmten zu, dass ein Muhadschir Kalif werden sollte. Abu Bakr sagte: Freunde, ich denke, entweder Umar oder Abu Ubaida sollte Kalif werden. Wählt einen von den beiden! Als sie das hörten, sprangen Umar und Abu Ubaida auf und riefen: O Siddiq, wie kann das sein? Wie kann ein anderer dieses Amt ausüben, solange du unter uns bist? Du bist der erste Anwärter unter den Al-Muhadschirun. Du warst der Gefährte des Propheten in der Höhle des Berges Thaur. Du leitetest die gemeinsamen Gebete an seiner Stelle während seiner letzten Krankheit. Das Gebet steht an erster Stelle im Islam. Mit all diesen hervorragenden Voraussetzungen bist du die am besten geeignete Person als Nachfolger des Propheten. Strecke deine Hand aus, dass wir dir die Huldigung (Baia) geloben können.
Aber Abu Bakr streckte seine Hand nicht aus. Umar sah, dass dieses Zögern alle Fragen erneut aufrollen würde. Das hätte leicht neue Schwierigkeiten schaffen können. So ergriff er selbst Abu Bakrs Hand und gelobte ihm seine Baia. Andere folgten seinem Beispiel, und dann strömten von allen Seiten die Männer herbei, um dem Nachfolger des Propheten ihre Baia zu bekunden.
So wurde Abu Bakr (r) Kalif mit allgemeiner Zustimmung der islamischen Gemeinde. Am folgenden Tag ging Abu Bakr (r) in die Propheten-Moschee. Hier legte das Volk die Baia ab. Danach bestieg Abu Bakr das Podest als Kalif des Islam und sprach zur versammelten Menge: O ihr Menschen! Ich bin zu eurem Führer gewählt worden, obgleich ich nicht besser bin als irgendeiner von euch. Wenn ich etwas Gutes tue, gebt mir eure Unterstützung! Tue ich etwas Falsches, dann macht mich darauf aufmerksam! Hört, Wahrheit ist Ehrlichkeit, und Unwahrheit ist Unehrlichkeit. Die Schwachen unter euch sind in meinen Augen so lange mächtig, bis ich ihnen das gegeben habe, was ihnen zusteht, wie Allah es will. Die Mächtigen unter euch dagegen sind so lange schwach in meinen Augen, bis ich ihnen das genommen habe, was den anderen zusteht, wie Allah es will. Ich sage euch, wenn die Menschen aufhören, den Willen Allahs zu erfüllen, lässt Allah sie in Ungnade fallen. Wenn die Menschen zu Übeltätern werden, schickt Allah Unglück über sie. Merkt euch, ihr müsst mir so lange gehorchen, wie ich Allah und Seinem Gesandten, Allahs Segen und Friede auf ihm, gehorche. Wenn ich Allah und Seinem Gesandten nicht gehorche, braucht ihr mir auch nicht zu gehorchen!
Alyy und einige seiner Verwandten hatten wegen einer Meinungsverschiedenheit mit dem Kalifen die Baia sechs Monate hinausgezögert. Der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, hatte nämlich einige Ländereien in Al-Madina und Haibar, worauf seine Tochter Fatima und sein Onkel Al-Abbas Anspruch erhoben. Aber Abu Bakr wies diesen Anspruch zurück im Hinblick darauf, was der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, selbst gesagt hatte: Wir Propheten können nicht beerbt werden. Alles, was wir hinterlassen, ist öffentliches Eigentum.
Fatima (r) wusste nichts von diesem Ausspruch ihres Vaters. Sie war der Meinung, dass ihr Anspruch völlig zu Recht bestand. Sie und ihr Gatte Alyy waren deshalb etwas verbittert. Heuchler waren schnell bereit, das Missverständnis aufzubauschen. Abu Bakr und Alyy waren beide uneigennützig. Fatima war krank, und Abu Bakr ging zu ihr und klärte das Missverständnis persönlich auf. Nachdem Fatima kurz darauf gestorben war, suchte Alyy Abu Bakr auf und sagte: O Siddiq, wir erkennen deine Überlegenheit an. Wir neiden dir nicht die Stellung, die dir Allah gegeben hat. Aber als Verwandte des Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, waren wir doch der Meinung, dass das Kalifat uns zustehe. Wir glaubten, du hättest uns dieses Recht genommen. Diese Worte rührten Abu Bakr zu Tränen und er sagte: Bei Allah! Die Verwandten des Propheten sind mir teurer als meine eigenen Verwandten.
Alyy war mit dieser Versicherung zufrieden. Er ging in die Moschee und legte öffentlich den Treueschwur ab. Abu Bakr (r) war nur zwei Jahre, drei Monate und zehn Tage Kalif. Das ist ein verhältnismäßig kurzer Zeitabschnitt im Leben eines Volkes. Aber in dieser kurzen Zeit erreichte er Großes für den Islam.
Seine Leistungen haben seinen Namen unsterblich gemacht und ihn unter die größten Männer aller Zeiten eingereiht. Als Abu Bakr das Kalifat übernahm, war der Islam nur auf Arabien beschränkt, und auch hier hatte er keinen festen Stand. In vielen Teilen des Landes bestand der Islam nur dem Namen nach. Er war für die meisten Leute keine Lebensauffassung. Eine gewisse Anzahl von Stämmen hielt den Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, nur für einen König. Sie versuchten, sein “Joch” abzuschütteln, sobald er nicht mehr lebte. Abu Bakr erteilte diesen Leuten eine dauernde Lektion. Er lehrte sie, dass der Islam das ganze Leben durchdringt. Sein unerschütterlicher Glaube gab ihm die Kraft dazu. Keine Schwierigkeiten konnten ihn vom Weg des Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, abbringen.
Usama mochte als Befehlshaber zu jung und unerfahren sein, aber Abu Bakr wollte kein Wort gegen ihn hören; denn er war vom Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, eingesetzt worden. Mochten auch Aufstände im Lande sein, so wollte Abu Bakr trotzdem den Feldzug nach Tabuk nicht aufgeben; denn der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, hatte es so angeordnet.
Abu Bakr war unerreicht in seiner Liebe zu Allah (t) und Seinem Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm. Dies war das Geheimnis seiner unbeugsamen Kraft. Nur diese innere Stärke half ihm über die dunkelsten Stunden seines Kalifats hinweg.
Abu Bakr (r) war ebenso aufrichtig wie fest im Glauben. Er hielt jedes Versprechen, das er zu Beginn seines Kalifats gegeben hatte. Nie war er etwas anderes als das gläubige Werkzeug Allahs und Seines Gesandten, Allahs Segen und Friede auf ihm, und der ergebene Diener seines Volkes. Damit gewann er dessen Liebe und die Achtung all seiner Schichten. Der Erfolg war, dass der Islam einen unerschütterlichen Halt im Lande seines Ursprungs fand.
Bald war er kräftig genug, um die Grenzen zu überschreiten. Er kämpfte mit den beiden am meisten gefürchteten Mächten jener Zeit, und er war erfolgreich. Abu Bakr machte dem Islam den Weg frei für weltweite Ausdehnung. Islam bedeutet vollständige Unterwerfung unter den Willen Allahs; dies bedeutet völlige Selbstlosigkeit.
Der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, zeigte mit seinem Beispiel, wie dieses Ziel zu erreichen war. Er zeigte, wie die Macht des Staates nicht für private Zwecke, sondern für das öffentliche Wohl genutzt werden sollte. Abu Bakr war der erste unter den Nachfolgern des Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, der seinem Vorbild gemäß lebte.
Aus seinem Kalifat zog er keinen persönlichen Vorteil. Ohne einen Pfennig Lohn opferte er jede Minute seiner beiden letzten Lebensjahre im Dienst für sein Volk. Abu Bakr hatte mehrere Söhne und viele nahe Verwandte. Keinem von ihnen gab er ein öffentliches Amt. Um Streitigkeiten zu verhüten, musste er seinen eigenen Nachfolger ernennen. Aber seine Wahl fiel auf keinen seiner Verwandten, sondern auf den Mann, den er wirklich für den am meisten geeigneten unter den Gefährten (Sahaba) des Propheten (s.) hielt. Er zwang ihn aber dem Volk nicht auf. Erst nachdem die Sahaba seinem Vorschlag zugestimmt hatten, brachte er ihn vor das Volk.
Abu Bakr (r) zeigte der Welt, wie ein Volk zum Nutzen des Volkes durch das Volk regiert wird. Weder im Osten noch im Westen hatte es vorher eine solche Regierungsform gegeben. Die mächtigen Reiche Persien und Byzanz gründeten sich auf nackte Gewalt. Um es kurz zu sagen: Abu Bakr (r) führte das große Werk des Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, fort. Dafür hatte er hart zu kämpfen. Er setzte jedermann durch den Einsatz seines starken Willens und Glaubens in Erstaunen. (DM)
(—-> Einsatz Abu Bakrs)