Abdulmuttalib, der Großvater des Propheten Muhammad (s.), gelobte einst: Wenn mir zehn Söhne geboren werden und aufwachsen, bis sie mich schützen können, werde ich einen von ihnen Allah bei der Al-Kaba opfern.
Nachdem er zehn Söhne bekommen hatte und wusste, sie würden ihn schützen können, versammelte er sie und erzählte ihnen von seinem Gelübde. Er bat sie, sein Versprechen gegenüber Allah zu erfüllen. Sie stimmten ihm zu und fragten: Aber wie sollen wir dies tun? Jeder von euch, erwiderte Abdulmuttalib, nehme einen Pfeil, schreibe seinen Namen darauf und bringe ihn mir! Dies taten sie, und Abdulmuttalib trat mit ihnen vor den Götzen Hubal in der Mitte der Al-Kaba, wo dessen Götzenbild an einem Brunnen stand, in welchem man die Geschenke sammelte, die der Al-Kaba dargebracht wurden.
Bei Hubal lagen sieben Pfeile, die beschriftet waren. So stand auf dem einen das Wort Blutgeld, und immer wenn man sich nach einem Mord nicht darüber einig war, wer das Blutgeld zahlen sollte, loste man mit den sieben Pfeilen, und derjenige, der diesen Pfeil zog, musste das Blutgeld entrichten. Auf einem anderen Pfeil stand “ja” und auf einem dritten “nein”; immer wenn man eine Entscheidung herbeiführen wollte, suchte man sie in den Lospfeilen, und je nachdem, ob der Pfeil mit “ja” oder jener mit “nein” gezogen wurde, handelte man. Auf den übrigen Pfeilen standen die Worte “er gehört zu euch”, “fremd im Stamm”, “er gehört nicht zu euch” und “Wasser”.
Wollte man nach Wasser graben, loste man mit den Pfeilen, darunter auch dem letztgenannten, und grub an jenem Ort, für den der Pfeil entschied. Wollte man einen Knaben beschneiden, eine Heirat durchführen, einen Toten bestatten, oder hegte man Zweifel über die Abstammung eines Mannes, zog man mit hundert Dirham und einem Schlachtkamel zum Götzen Hubal und gab es dem Priester, dem Herrn der Pfeile. Sodann brachten sie denjenigen heran, um den es ging, und sprachen: O Allah! Dies ist der Soundso, der Sohn des Soundso, mit dem wir dies oder jenes tun wollen. Offenbare uns deshalb die Wahrheit über ihn! Dann baten sie den Herrn der Pfeile, das Los zu werfen.
Bei “er gehört zu euch” galt er als echtes Mitglied des Stammes, bei “er gehört nicht zu euch” wurde er als Bundesgenosse angesehen, und bei “fremd im Stamm” hatte er keinerlei Bindungen zu ihnen, weder von der Abstammung her noch durch ein Stammesbündnis. Immer wenn das Los in anderen Fällen “ja” erbrachte, handelten sie entsprechend, und bei “nein” schoben sie es um ein Jahr auf und brachten es dann ein zweites Mal vor.
In allen ihren Entscheidungen richteten sie sich nach den Lospfeilen. Abdulmuttalib nun sprach zum Herrn der Pfeile: Wirf das Los über meine Söhne mit diesen Pfeilen hier! Und er erzählte ihm von seinem Gelübde. Dann gab ihm jeder seiner Söhne den Pfeil mit seinem Namen. Abdullah, der Vater des Propheten Muhammad, war des Abdulmuttalib jüngster und liebster Sohn, und Abdulmuttalib hoffte, das Los werde nicht auf ihn fallen.
Der Priester nahm die Pfeile. Abdulmuttalib aber stand beim Götzen Hubal und betete zu Allah. Doch das Los fiel auf Abdullah, und Abdulmuttalib nahm ihn an der Hand, ergriff das große Messer und brachte ihn zu den Götzenbildern des Isaf und der Naila, um ihn dort zu opfern. Da kamen die Quraisch aus ihren Versammlungen und fragten ihn: Was hast du vor, o Abdulmuttalib? Ich will ihn opfern, erwiderte dieser, doch die Quraisch und auch seine eigenen Söhne baten ihn flehend: Bei Allah! Opfere nicht deinen Sohn, bevor du nicht ein Sühnegeld angeboten hast. Sonst werden die Männer fortan immer ihre Söhne bringen und schlachten. Was wird dann aus den Menschen werden?
Und Al-Mugira aus der Sippe Machzum, dessen Großmutter aus Abdulmuttalibs Familie stammte, beschwor ihn: Bei Allah! Opfere deinen Sohn nicht, bevor du nicht ein Sühnegeld angeboten hast. Wir würden unser ganzes Vermögen geben, um ihn loszukaufen. Und die Quraisch und seine Söhne forderten ihn auf: Tue es nicht! Sondern ziehe mit ihm nach Yathrib. Dort lebt eine Hellseherin, die einen Dschinn besitzt. Frage sie und handle entsprechend. Befiehlt sie dir, ihn zu opfern, so tue es. Entscheidet sie aber auf einen glücklichen Ausgang für dich und für ihn, so nimm es an.
Da machten sie sich auf den Weg nach Yathrib, wo man ihnen sagte, die Hellseherin sei in Chaibar. Sie ritten weiter, bis sie bei ihr anlangten, und befragten sie. Abdulmuttalib erzählte ihr von sich und seinem Sohn, was er mit ihm tun wollte und was er gelobt hatte. Lasst mich für heute allein, bat sie sie, damit mein Dschinn zu mir kommen und ich ihn befragen kann. Sie entfernten sich, und Abdulmuttalib betete wieder zu Allah. Als sie am nächsten Tag zu ihr zurückkehrten, sprach sie: Ich habe die Botschaft empfangen. Wie hoch ist das Blutgeld bei euch? Zehn Kamele, antworteten sie wahrheitsgemäß, und die Hellseherin fuhr fort: So kehrt in euer Land zurück. Nehmt dort euren Gefährten und zehn Kamele und lasst die Lospfeile über sie und ihn entscheiden. Fällt das Los gegen ihn aus, so vermehrt die Zahl der Kamele, bis euer Herr zufrieden ist. Entscheidet das Los gegen die Kamele, so opfert sie an seiner statt. Euer Herr ist dann zufrieden und euer Gefährte gerettet.
Sie verließen die Hellseherin und kehrten nach Makka zurück. Nachdem sich dort alle darauf geeinigt hatten, brachten sie Abdullah und zehn Kamele, während Abdulmuttalib beim Bilde Hubals stand und zu Allah betete. Die Pfeile wurden geworfen, und das Los entschied gegen Abdullah. Da brachten sie weitere zehn Kamele, und Abdulmuttalib betete wieder zu Allah, doch das Los entschied erneut gegen Abdullah. So verfuhren sie weiter, und das Los entschied immer gegen Abdullah, bis hundert Kamele erreicht waren.
Erst dann fiel das Los auf die Kamele, und die Quraisch und alle anderen riefen: Nun ist dein Herr zufrieden, o Abdulmuttalib! Doch Abdulmuttalib, so wird behauptet, entgegnete: Nein, bei Allah, erst wenn ich das Los noch dreimal habe entscheiden lassen. So warfen sie erneut die Pfeile über Abdullah und die Kamele, während Abdulmuttalib zu Allah betete. Und dreimal entschied das Los gegen die Kamele.
Da wurden diese geschlachtet und niemand daran gehindert, von ihrem Fleisch zu nehmen.